News

Zwei-Minuten-Geschichten

Als das Kind durch den Geburtskanal gestossen wird, umschlingt die Nabelschnur seinen Hals. Es ist knutschblau. Rose, die gerade noch den ganzen Schmerz ihres sich zerreissenden Körpers heraus geschrien hatte, wird übel. Ein Schwall Blut quillt mit der nächsten Wehe aus ihr heraus und ihre Oberschenkel hinunter. Da beginnt das Neugeborene zu brüllen. Nie zuvor hatte sie sich leichter gefühlt.

Später, als die erste Strassenbahn in den Gleisen quietscht und das Kind in seidene Wolle gehüllt auf ihrer Brust liegt, scheint es Rose unvorstellbar, dass alles seinen gewohnten Gang gehen könnte. Nicht, während sich das Bündel in die Welt hineinträumt. Tschilpend, röchelnd, fiepend. Nur gelegentlich würgt es einen Rest Fruchtwasser aus den Lungen. Rose blickt auf die Seite des Bettes, wo das Leinen unberührt geblieben ist. Ihre Tränen fliessen auf den dunkeln Schopf des Neugeborenen.

Rose merkt nicht, als es an der Türe klopft. Auf einmal steht da eine Frau. In den Händen trägt sie ein Tablett. Sie stellt es hin. Setzt sich. Hält sie einfach am Arm, wortlos. Irgendwann richtet Rose sich auf. Obwohl ihre Nase vom Weinen verstopft ist, kann sie das geröstete Brot riechen. Sie wischt sich das Gesicht mit dem Waschlappen, den die Frau ihr reicht.

Dann taucht sie die Gabel in die Schüssel, etwas Apfelvinaigrette fällt auf ihr Nachthemd. Sie spürt die kühle Gurkenscheibe im Mund. Dann beisst sie in die Olive. Schmeckt den warmen Schein des Südens. Peperoni. Cipolotti. Tomate. Sie schliesst die Augen. Und da weiss sie: Es wird schon werden. Alles. Irgendwie.

Seraina Kobler